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Die Zeit der vorzeitigen Anforderung von Steuererklärungen beginnt wieder – Begründen Sie Ihren Einspruch bei pauschalen Begründungen der Finanzbehörden zur vorzeitigen Anforderung der Steuererklärungen mit den Gründen der Entscheidung des rkr. Urteils
Das FG Hamburg hat mit Urteil vom 27.4.2012 - 6 K 96/11 zu der immer wieder ärgerlichen und pauschalen Handlungsweise der Finanzbehörden eine rkr. Grundsatzentscheidung getroffen. Die durch das FG zugelassene Revision ist durch die Finanzbehörden nicht eingelegt worden.
Die automatisierte Vorabanforderung von Steuererklärungen - entgegen dem gleichlautenden Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder (sog. Fristenerlass) und der darin vorgesehenen allgemeinen Fristverlängerung für beratende Steuerpflichtige bis zum 31.12.2013 - bedarf - jedenfalls hinsichtlich des Auswahlermessens - einer für den Steuerpflichtigen nachvollziehbaren Begründung.
Das Finanzamt hatte die Steuerpflichtigen unter pauschalem Hinweis auf das BMB-Schreiben zur Fristenregelung und der dort aufgeführten Möglichkeit der vorzeitigen Anforderung von Steuererklärungen zur vorzeitigen Abgabe der Steuererklärungen aufgefordert.
Die obersten Finanzbehörden der Länder haben mit dem gleichlautenden Fristenerlass Verwaltungsvorschriften über die Verlängerung der Abgabefristen erlassen. Nach Abschnitt II. des Erlasses wird die Frist, sofern die Steuererklärungen - wie im Streitfall - durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe angefertigt werden, grundsätzlich nach § 109 AO allgemein bis zum 31. Dezember 2013 verlängert. Es bleibt den FÄ allerdings ausdrücklich vorbehalten, Erklärungen mit angemessener Frist für einen Zeitpunkt vor Ablauf der allgemein verlängerten Frist anzufordern. Von dieser Möglichkeit soll bei bestimmten Fallgestaltungen Gebrauch gemacht werden.
Diese Verwaltungsvorschriften sollen nach allgemeiner Ansicht einen sachgerechten Interessenausgleich zwischen Steuerpflichtigen, steuerberatenden Berufen und Finanzbehörden ermöglichen. Sie sollen - für beide Seiten - den gleichmäßigen Arbeitsanfall steuern und die Arbeitsbelastung der steuerberatenden Berufe typisierend berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 28.06.2000 - X R 24/95, BStBl. II 2000, 514). Die sachgerechte Beratung durch Angehörige der steuerberatenden Berufe setzt u. a. voraus, dass den Beratern ein zeitlich ausreichender Spielraum eingeräumt ist, um die von ihnen betreuten Steuerpflichtigen in gleichmäßiger Weise beraten zu können, damit jedem Ratsuchenden qualitativ eine gleichwertige Beratung geboten werden kann. Der Berater soll nicht unter dem Druck einer kurzen Abgabefrist gezwungen sein, eine Rangfolge - nach welchen Kriterien auch immer - für die Beratung der von ihm betreuten Steuerpflichtigen einzuführen (vgl. auch FG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.01.2001 - 6 K 493/97, juris).
Vor diesem Hintergrund obliegt es dem Gericht, die im Einzelfall getroffene Ermessensentscheidung daraufhin zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (§ 102 FGO). Sind wie hier Ermessensrichtlinien erlassen, ist zu prüfen, ob sich die Behörde an die Richtlinie gehalten hat, ob die Ermessensrichtlinie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhält und ob die Behörde von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch macht (vgl. BFH-Urteil vom 11.04.2006 - VI R 64/02, BStBl. II 2006, 642).
Nach § 121 Abs. 1 AO ist ein schriftlicher Verwaltungsakt mit einer Begründung zu versehen, soweit dies zu seinem Verständnis erforderlich ist. Nach Abs. 2 Nr. 2 der genannten Vorschrift bedarf es keiner Begründung, soweit demjenigen, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, die Auffassung der Finanzbehörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist. Dasselbe gilt gemäß Abs. 2 Nr. 3, wenn die Finanzbehörde gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlässt und die Begründung nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist.
Die in § 121 AO genannten Einschränkungen der allgemeinen Begründungspflicht gelten nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch im Falle von Ermessensentscheidungen; d. h. auch hier kann unter bestimmten Voraussetzungen die schlichte Angabe einer Rechtsgrundlage - ohne weitere Begründung - genügen (so etwa zur Begründung einer Prüfungsanordnung BFH-Urteil vom 28. April 1983 - IV R 255/82, BStBl. II 1983, 621; vgl. auch Kruse, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 5 AO Tz. 69).
Im vorliegenden Streitfall lässt das Anforderungsschreiben des Finanzamtes nicht erkennen, von welcher Sachlage der Beklagte bei seiner Ermessensentscheidung ausging.
Dies betrifft zunächst die Frage, warum überhaupt Erklärungen vorab angefordert worden sind. In dem ersten Absatz des Schreibens des Finanzamtes werden lediglich drei der in dem Fristenerlass genannten Gründe für eine Vorabanforderung von Steuererklärungen aufgeführt, ohne dass erkennbar wäre, welcher dieser Gründe nach Auffassung des Beklagten im Falle des Adressaten des Schreibens, der Klägerin, gegeben ist. Im letzten Absatz der Schreibens wird sodann generell darauf verwiesen, dass der rechtzeitige Abschluss des jährlichen Steuerfestsetzungsverfahrens es erforderlich mache, einen Teil der jährlichen Steuererklärungen vor Ablauf der allgemein verlängerten Frist anzufordern. Ob sich dies allgemein auf die Arbeitslage der Finanzämter der Stadt A bezieht oder konkret auf die Arbeitslage des Beklagten, geht aus dem Schreiben nicht hervor, ebenso wenig, wie die konkrete Arbeitslage des Beklagten aussah. Erläuterungen zu den allgemeinen Abgabequoten der Veranlagungsjahre 2011 und 2012 enthält zwar ein Schreiben der Finanzverwaltung, das die Vertreterinnen des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgelegt haben; doch dieses Schreiben ist nur für den Dienstgebrauch bestimmt und wurde nicht allgemein bekannt gemacht.
Die Aufforderung zur vorzeitigen Abgabe der Steuererklärungen für 2012 ist materiell rechtswidrig, weil sie unverhältnismäßig ist und gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleiteten Übermaßverbot verstößt (s. dazu Kruse, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 5 AO Rz. 61 ff.; s. auch BFH-Urteil vom 26.07.2007 - VI R 68/04, BStBl. II 2009, 338, Rz. 20).
Der Klägerin ist zuzugeben, dass der Beklagte den von ihm verfolgten Zweck, einen gleichmäßig über das Jahr verteilten Eingang von Steuererklärungen zu gewährleisten, auch dann erreichen würde, wenn er - wie dies etwa auch in dem von dem Bevollmächtigten der Klägerin vorgelegten Erlass des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom 06.05.2011 vorgesehen ist - nicht namentlich festgelegte Steuererklärungen von einem Berater zu einem bestimmten Zeitpunkt anfordert, sondern lediglich eine bestimmte Anzahl von Erklärungen. Dies wäre jedenfalls in den Fällen, in denen - wie auch im Streitfall - kein konkretes, in der Person des Steuerpflichtigen begründetes Interesse an einer bestimmten Erklärung gegeben ist, eine insgesamt weniger belastende Maßnahme.