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Ein wohltuender, grundsätzlicher Beschluss des VIII. Senats des BFH: Für die Finanzbehörden gelten die gleichen Regeln wie für Angehörige der rechts- und steuerberatenden Berufe
Das Problem
Der VIII Senat des BFH hat mit seinem Beschluss vom 6.11.2012 VIII R 40/10 zu einem Wiedereinsetzungsantrag des Finanzamts wegen verspätetem Antrag auf mündliche Verhandlung gegen einen Gerichtsbescheid Stellung bezogen.
Die Kernaussagen des VIII. Senats
Bei der Beurteilung, ob eine Behörde sich die Versäumung einer gesetzlichen Frist als schuldhaft anrechnen lassen muss, gelten grundsätzlich die gleichen Maßstäbe, wie sie die Rechtsprechung für das Verschulden von Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe entwickelt hat (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 16. Januar 2007 IX R 41/05, BFH/NV 2007, 1508, m.w.N.; vom 25. November 2008 III R 78/06, BFH/NV 2009, 407); d.h., das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder Bevollmächtigten steht dem eigenen Verschulden des FA gleich (BFH-Urteil vom 12. Mai 1992 VII R 38/91, BFH/NV 1993, 6, m.w.N.).
In formeller Hinsicht setzt die Gewährung der Wiedereinsetzung voraus, dass das FA vorträgt, welche Maßnahmen zur Überwachung der Einhaltung der Fristen im Amtsbetrieb getroffen sind.
Dabei ist zu beachten, dass ebenso wie ein Prozessbevollmächtigter auch der Vorsteher des FA verpflichtet ist, ein Fristenkontrollbuch zu führen, in dem jegliche Fristen, u.a. die Frist für die Revisionsbegründung oder Frist für einen Antrag auf mündliche Verhandlung nach Erlass eines Gerichtsbescheids, zu vermerken ist (BFH-Entscheidungen vom 19. Juli 1994 II R 74/90, BFHE 175, 302, BStBl II 1994, 946; vom 10. Juli 1996 II R 12/96, BFH/NV 1997, 47; vom 26. August 1997 VII R 11/96, BFH/NV 1998, 70; vom 10. März 2000 VII R 2/00, BFH/NV 2000, 1117).
Das FA muss also vortragen, wie und durch welche Beschäftigten in seinem Amt Fristsachen gehandhabt werden, zumal wenn ihre Erledigung an Fristen gebunden ist, die nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen gehören.
Dazu rechnet die Frist zur Stellung eines Antrags auf mündliche Verhandlung nach Ergehen eines Gerichtsbescheids ebenso wie die Revisionsbegründungsfrist (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 945; Kuczynski in Beermann/Gosch, FGO § 56 Rz 15.2; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 56 Rz 20, Stichworte Revisionsbegründungsfrist und Nichtzulassungsbeschwerde). Das FA muss vorbringen, wer die Fristen berechnet sowie durch wen und welche Maßnahmen gewährleistet ist, dass die Fristen notiert und kontrolliert werden (vgl. BFH-Beschluss vom 14. Mai 2007 VIII B 47/07, BFH/NV 2007, 1684).
Weiter muss es darlegen, wann und wie die in der Sachbearbeitung von Rechtbehelfen und Fristsachen eingesetzten Beschäftigten entsprechend belehrt werden und wie die Einhaltung dieser Belehrungen überwacht wird (vgl. BFH-Beschlüsse vom 7. Februar 2002 VII B 150/01, BFH/NV 2002, 795; vom 24. Januar 2005 III R 43/03, BFH/NV 2005, 1312; vom 11. Mai 2010 XI R 24/08, BFH/NV 2010, 1834).
Nach diesen Grundsätzen kann dem FA keine Wiedereinsetzung bewilligt werden. Dem Wiedereinsetzungsgesuch ist bereits nicht zu entnehmen, welche Bediensteten die Postsendung entgegengenommen und über welche Qualifikation diese verfügt haben.
Im Übrigen ist zwar nach dem Vortrag des FA davon auszugehen, dass für die Posteingangsstelle Anweisungen vorliegen, aus denen sich ergibt, wie eingehende Schriftstücke zu behandeln und weiterzuleiten sind. Es kann auch davon ausgegangen werden, dass Organisationsanweisungen existieren, nach denen förmlich zugestellte Sendungen mit dem Umschlag der förmlichen Zustellung in den Geschäftsgang zu geben sind und die Bediensteten des FA von diesen Anweisungen Kenntnis haben und diese grundsätzlich beachten. Ob und wie die Bediensteten des FA über diese Anweisungen unterrichtet werden und inwieweit die Umsetzung und Einhaltung dieser Anweisungen kontrolliert wird, ist jedoch nicht nachvollziehbar.
Darüber hinaus fehlt jegliche Darstellung zur regelmäßigen Handhabung von Fristen und der Kontrolle ihrer Beachtung sowie zur Belehrung und Überprüfung des konkret zur Beachtung von Fristen eingesetzten Personals. Das FA hat sich im Wesentlichen darauf beschränkt, darzustellen, wie samstags eingehende Schriftstücke in der Posteingangsstelle behandelt werden und dass bei Zustellungen durch Postzustellungsurkunde der Umschlag der förmlichen Zustellung mit in den Geschäftsgang zu geben ist. Diese Schilderung gibt aber keinerlei Auskunft über die Organisation des Amtes und über die Art und Weise, wie die für die Beachtung von Fristen Verantwortlichen diese Fristen handhaben und deren Einhaltung kontrollieren. Wenn es aber für Prozessbevollmächtigte unumgänglich ist, sich für eine ordnungsgemäße Fristenkontrolle den Umschlag mit dem Zustellungsvermerk vorlegen zu lassen (vgl. dazu Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 56 Rz 20, Stichwort Fristenkontrolle, m.w.N.), so gilt das für die mit der Fristenkontrolle beim FA betrauten Personen gleichermaßen, zumal diese in der Regel mit dieser Problematik vertraut sind und die entsprechenden Rechtskenntnisse besitzen müssten. Es müssen daher auch Anweisungen existieren, wie die für die Einhaltung der Frist verantwortlichen Personen bei Fehlen dieser Umschläge verfahren müssen.
Ob dies der Fall ist und wie in solchen Konstellationen zu handeln ist, erschließt sich aus dem Wiedereinsetzungsgesuch indes nicht.
Der Senat kann aufgrund dieser unzureichenden Darstellung nicht von einem entschuldbaren Versehen eines Mitarbeiters ausgehen, da ein Organisationsverschulden als Ursache der Fristversäumnis nicht auszuschließen ist.